Unsere Wohnung das ist unsere Insel
Heidrun und Wolfgang B.
Die vier Kinder sind schon lange aus dem Haus. Damals wollten sie sich verkleinern. Und wie durch ein Wunder wurde in einem bei langen Spaziergängen schon öfter sehnsüchtig umrundeten Haus in Gohlis eine Wohnung frei. Die Kinder lassen jetzt seltener von sich hören. Vielleicht liegt es daran, dass es so schwer auszuhalten ist, einen Vater zu erleben, den man ganz anders kannte, und der sich mehr und mehr in seine eigene, anderen meist unerreichbare Welt zurückzieht. Für Heidrun B. geht es manchmal an die Grenzen ihrer Kräfte. Ja, sie hat schon Wohnalternativen geprüft, Wohnformen, die alles leichter machen würden. Den Tagesrhythmus, der manchmal aus den Fugen gerät, die Rast- und Orientierungslosigkeit, ihr eigenes immerzu da sein wollen– und müssen. Aber sie hat sich für das Bleiben in ihrem Zuhause entschieden. Ihr Zuhause, das ist ihre Insel, die Höhle, die sie sich geschaffen haben. Beeinflusst von dem, was sie während vieler Urlaube beseelt hat:
die netten, freundlichen und herzlichen Menschen im Tirol/im Südtirol, im Zillertal. Menschen, die sich umeinander kümmern. Diese Idee wollten sie sich in ihre Wohnung holen. Stück für Stück haben sie sich Möbel von der Firma Voglauer zusammengekauft. Nein, sie möchte nirgendwo anders sein. Hier, wo sie das durch den Rhythmus der Krankheit getaktete Leben beherrschen kann. Die tägliche Runde von früh bis 14 Uhr, von Gartenanlage zu Gartenanlage bis zum St. Georg oder per Partnerkarte mit Bahn und Bus quer durch Leipzig. Solche feste Strukturen sind wichtig – auch wenn das nicht alle verstehen. Die Kontakte sind weniger geworden und mitunter denkt sie an Fontane: „Leise, leise schließen sich die Lebenskreise“.
Stieglitze mögen Hanfsamen, deshalb gibt es mitunter ein aufgeregtes Durcheinander auf ihrem Balkon, beim Blick aus dem Fenster sieht sie ihren „kleinen Schwarzwald“ und die Nachbarn sind freundlich, auch wenn es über die Jahre ein wenig bunter, mal auch lauter und ein Stück anonymer geworden ist. Dennoch, als nächstes möchte sie wieder einmal die Ostsee spüren, in Kühlungsborn.
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