Kein Stuck an der Decke, aber das Konto ist gedeckt
Silvia H.
Silvia H. erinnert sich, als sie das erste Mal allein in ihrer neuen Wohnung war: ein Vollbad in der Wanne, ein Glas Cognac, Händels Wassermusik und das Hochgefühl eines Sechsers im Lotto.
In Hunderten von Aufbaustunden hat sie sich abgerackert, ihr bis dahin völlig unbekannte Bauarbeiten durchgeführt, fremde Menschen und die künftigen Grünauer Nachbarn kennengelernt. In dieser, ihrer Wohnung lebt sie noch immer. Mit Hingabe. Sie liebt sie, weil alles in ihrer Wohnung ihrer Hände Arbeit ist. Die äußere Hülle, aus den ihrer Meinung nach zu Unrecht schlecht geredeten Betonplatten und alles was drin ist. Das Drumherum, sprich die Lage, ist perfekt: Verkehrsanbindung, Einkauf, das viele Grün. Die Hausgemeinschaft war genial. Die Zeit der Gummistiefel hat verbunden, man kannte sich, feierte zusammen und war auch mal gemeinsam traurig. Nach der Wende wechselten die Mieter häufig, heute ist es eher ein Nebeneinander.
Für Silvia H. war das Leben eine Achterbahn, begleitet von Kunst und dem Gefühl, dass sich eine Tür öffnet, wenn eine andere geschlossen wird. Beruflich war sie mit wissenschaftlicher Dokumentation im Öffentlichen Dienst befasst, das gesprochene und geschriebene Wort war ihr Ausgleich. Lesen, Romane, Gedichte, Balladen und selbst Vortragen, mit Ehrfurcht und Respekt vor der Macht des Wortes. Immer ganz dabei – auch bei der gemeinsamen Erarbeitung von Theaterstücken mit psychisch kranken Jugendlichen. Zurzeit hat es ihr das französische Chanson angetan, Programmteile werden geprobt, die gereifte Stimme und die mitreißende, lebensweise Ausstrahlung lassen Tolles erahnen. Sie wird ihre Art des Umgangs mit Scheitern und Brüchen und vor allem ihre Neugier und Freude am Leben heraussingen. „Man ist in den besten Jahren, wenn man die guten hinter sich hat“, dieser Spruch von Andrè Maurois steht auf einem kleinen Zettel in einer Spiegelecke. Silvia H. Ist die gelebte Bestätigung.
Übersicht Geschichten nächste Geschichte vorherige